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» Es ist wirklich ein Glück, diesen Doppel-Ort gestalten zu dürfen «

Interview mit den Architekten Lisi Teisen und Rolf Giesler
© Jeff Poitiers

Hallo, Lisi und Rolf! Stellen Sie sich doch bitte kurz vor: Wer sind Sie und wie sieht Ihre Arbeit aus?

Lisi: Ich bin Lisi Teisen, ausgebildete Architektin und Stadtplanerin. Im Jahr 2000 haben Rolf und ich das Architekturbüro meines Vaters übernommen. Der erste Kontakt mit den Rotondes kam dann im Kulturjahr 2006 zu Stande, als es um den Vorentwurf des Standortes ging. Das war eine sehr gute erste Erfahrung mit dem Ort und dem Team.

Rolf: Und ich heiße Rolf Giesler, ich kenne Lisi seit unserem Studium in Wien, und wir arbeiten seit dem Jahr 2000 zusammen. Sonst hat Lisi schon alles erzählt. (lacht)

Sie kennen die Rotondes bereits sehr gut, denn das ist nicht Ihre erste Sanierungsphase an diesem Standort. Welche Arbeiten haben Sie bisher betreut?

Lisi: Als 2007 die Entscheidung fiel, die Rotondes zum Headquarter des Kulturjahrs zu machen, stellten wir unsere ersten Überlegungen über mögliche architektonische und landschaftliche Eingriffe an und dachten darüber nach, welchen Sinn wir man dem Ort verleihen wollten. Man muss bedenken, dass alle diese Eingriffe den Charakter eines beabsichtigten Provisoriums haben sollten. Das Kulturjahr war ja von begrenzter Dauer. Das Projekt war vom Pop-up-Modell inspiriert. Daher ging es darum, mit Modulen zu arbeiten, die wiederverwendet oder auf andere Weise eingesetzt werden konnten. Bei jeder Entscheidung, die wir trafen, machten wir uns schon Gedanken über das Danach. Wir versuchten eine Vision zu entwickeln, die über den bloßen Zeitraum des Projektes hinaus Bestand haben würde.

Auch wenn es nur vorübergehend war, haben wir den Ort wirklich verwandelt und etwas in Bewegung gebracht. Die Öffentlichkeit war damals schon hin und weg! Durch sein Programm und seine Architektur ist es ein Ort geworden, der sich verändert und ständig neue Nutzungsmöglichkeiten und Funktionen bietet. Rolfs und meine Arbeit bestand von Anfang an darin, Formen der Umgestaltung zu finden, die in Einklang mit der Einzigartigkeit des Ortes standen. 

Weil wir gerade von Einzigartigkeit sprechen: Man sollte sich klar machen, dass dieses »Yin und Yang« damals schon zu spüren war zwischen der renovierten Rotonde 1 und der Rotonde 2, die noch von der Staatlichen Eisenbahngesellschaft Luxemburg (CFL) genutzt wurde. 

Wir haben gespürt, dass wir mit dieser Komplementarität arbeiten mussten, sie berücksichtigen und nutzen sollten. So entstand die Idee unserer »Blaues Glashaus«, der »Serre Bleue«, einer Konstruktion aus Holzrahmen, die 2007 ein Restaurant umfasste und seit 2015 die Plattform beherbergt. Die Serre Bleue war eine offene Struktur: Sie gab den Blick auf den Rest der Rotonde frei und ermöglichte es dem Publikum, das zum Kaffeetrinken oder Essen kam, einen Einblick in das Angebot an Konzerten, Ausstellungen usw. zu bekommen. 

Es war ein Mittel, um die Verbindung zwischen dem Programm und dem Publikum herzustellen, das schon damals sehr neugierig war! Wir arbeiteten viel mit Holz und spielten mit den Wörtern »serre« und »cerf«, um die Naturverbundenheit zu betonen. Wir wollten zeigen, dass Luxemburg und seine Großregion (unter anderem die Ardennen und Lothringen) letztlich nicht so urban sind, sondern ihren ländlichen und waldreichen Charakter bewahren.

Rolf: Zwischen 2008 und 2013 haben wir vor allem die Analyse der Phase 1 (Minimalprojekt nach 2007) fortgesetzt und einige kleinere Maßnahmen umgesetzt. Zuerst haben wir das »Blaue Glashaus« und einige temporäre Einrichtungen in der Rotonde 1 zurückgebaut, damit das Nationalinstitut für Baudenkmäler (das vormalige Amt für nationale Stätten und Denkmäler) das Parkett verlegen konnte.

Die Verwaltung für öffentliche Bauten hat dann 2010 die vollständige Dekontamination des Geländes veranlasst. Der Bodenbelag von Rotonde 2 wurde entfernt, ebenso die Abflussgräben, die vom Treibstoff der Busse im Inneren verschmutzt waren. Im Zuge der Dekontamination musste leider auch das Café Exit (AdR: Club und Bistro im Rahmen des Kulturjahres 2007) abgerissen werden. 

Von 2013 bis 2015 haben wir den Technikraum und das Foyer der derzeitigen Bar, der Buvette, entworfen, das Foyer ist mit der Rotonde 2 verbunden. Der Technikraum wurde entlang der Straßenanbindung des Grundstücks gebaut, mit Blick auf eine langfristige Nutzung von technischen Anschlüssen für das gesamte Gelände.

Wir haben in der Rotonde 1 ebenfalls Sanitäranlagen eingeplant, im früheren Bereich des »Blauen Glashauses« eine Bar eingebaut und dort Künstlergarderoben ergänzt. Mit professionellen Bühnenbildern von »Charcoalblue« aus London haben wir eine ausklappbare kreisförmige Tribüne und eine große Licht- und Tonanlage in der Mitte installiert.

Auf dem Vorplatz haben wir eine massive Holzkonstruktion geschaffen, die die Black Box beherbergt. Die Black Box muss man sich als einen intimen Veranstaltungssaal mit einer tollen Raumakustik und Platz für etwa 120 Besucher:innen vorstellen. Gleich daneben haben wir die Container City installiert, aus den Schulcontainern der alten Europa-Schule Kirchberg: Sie beherbergt Radio Ara und Räume für Werkstätten.

Zum damaligen Zeitpunkt wussten wir schon, dass die Black Box andere Verwendung auf dem Gelände finden würde. Mit ihrer massiven Holzbauweise und ihre Raumhöhe konnte sie für Veranstaltungen genutzt werden. Sie würde dem Projekt bis zum Ende der Sanierung der Rotondes dienen.

Lisi: Schauen wir nochmal ein wenig weiter zurück: Nach dem Kulturjahr musste das Team der Rotondes vorübergehend in das Carré Rotondes im Stadtviertel Hollerich umziehen, damit es mit den Arbeiten auf dem Gelände weitergehen konnte. Der Einfachheit halber haben wir uns entschieden, einen Großteil der Ausstattung wie die Bar und das Mobiliar des Cafés Exit mitzunehmen.

2015 konnten das Team des Kulturzentrums und die Planer:innen auf das Gelände der Rotondes zurückkehren. Vor dem Umzug hatten wir den Klub in die Rotonde 2 integriert. Dieses Mal war es ein permanentes Modul aus Holz, das später mit der Renovierung von Rotonde 2 fertiggestellt werden sollte. Also haben wir vorausgeplant, was wir als nächstes umsetzen könnten. Zur selben Zeit gab es mit dem Bau der Galerie auch Veränderungen bei der Rotonde 1.

So, ich denke, wir haben ungefähr umrissen, was passiert ist. Und es ist noch nicht zu Ende! (beide lachen)

Umbau und Renovierung sind noch lange nicht abgeschlossen. Besonders deutlich wird das, da Sie dieses Jahr einen komplett neuen Bauabschnitt bei uns beginnen. Wie sehen die größten bevorstehenden Herausforderungen aus?

Lisi: In dieser neuen Bauphase möchten wir mit der Komplementarität, dem Volumen und der Materialität spielen. Die Rotonde 1 wurde damals in horizontaler Bauweise angelegt: Wenn man die im Dunkeln liegende Mitte betritt, hat man das Gefühl, vom Gebäude nahezu »verschluckt« zu werden. Deshalb sind wir bei der Rotonde 2 einer neuen Idee gefolgt: Dieser Raum wird einzig in der Form eines Halbmonds eingerichtet, während der übrige Teil leer bleibt. Im Gegensatz zur Rotonde 1 wollten wir hier auf der vertikalen Ebene arbeiten, was uns vor nicht gerade kleine architektonische Herausforderungen stellt … 

Wir haben diese Entscheidung getroffen, damit die Menschen den Blick von der Spitze der Konstruktion schweifen lassen und das Gebäude in seiner Ganzheit wahrnehmen können, vom Boden bis zur Decke. Wir wünschen uns, dass die Besucher:innen, selbst diejenigen, die sonst keine besondere Affinität zur Architektur haben, das Komplementäre beider Epochen bemerken. Nicht nur das Alte und das Moderne, sondern auch die Renovierung von Rotonde 1 und der Verschleiß von Rotonde 2. Von Anfang an streben wir danach, den Bezug zur CFL und der Eisenbahngeschichte des Ortes zu bewahren. Aus diesem Grund behalten wir die verglasten Räume, die ein wunderbares Lichtspiel erzeugen und eine gute Sicht auf die vorbeifahrenden Züge eröffnen.

Mit der Gestaltung der Rotonde 2 möchten wir »Box in the Box«-Räume schaffen. Sie sollen das Bestehende nicht beeinträchtigen, sondern einen respektvollen Dialog mit dem kulturellen Erbe ermöglichen. Das Innere der Räume wird einladend, intim und gemütlich sein, während der halbmondförmige leere Raum, die Agora, bewusst fast unberührt und roh bleibt. Sie wird verschiedene Aktivitäten im Freien ermöglichen. Wenn sich die Besucher:innen durch die übereinander gestapelten »Boxes« bewegen, profitieren sie von vertikalen Perspektiven: zwischen den Innenräumen und der besonderen Atmosphäre der halb im Freien gelegenen Agora und dem Blick auf den Bahnhof und den Platz der Rotondes.

Rolf: Wir sind aber auch mit vielen anderen Problemen konfrontiert worden. Eine große Herausforderung war es, alle Genehmigungen einzuholen, und die administrativen Verfahren haben manchmal das Projekt verzögert. … Zwischen 2005 und heute sind tatsächlich zahlreiche neue Regelungen und Gesetze dazugekommen.

Lisi: Ja, das Projekt liegt uns sehr am Herzen, weil zu viele Orte wie dieser hier vom Verschwinden bedroht sind. Unser Ziel war darum, den Ort teilweise so zu bewahren, wie er ist, ihn zwar zu verändern, aber seine Geschichte zu respektieren. Wir wollten ihn modernisieren und gleichzeitig seinen Charakter bewahren. Das hat natürlich Probleme verursacht, mit denen wir nicht konfrontiert worden wären, wenn die politischen Entscheidungsträger beschlossen hätten, ein neues Gebäude zu errichten, anstatt die bestehenden Gebäude der beiden Rotondes umzubauen. Sie gehören immer noch zu den seltenen Beispielen für technische Meisterleistungen im runden Industriebau. Für uns ist es wirklich ein Glück, diesen Doppel-Ort gestalten zu dürfen: die beiden Rundbauten, die aus der Ferne fast identisch aussehen, aber aus der Nähe so unterschiedlich sind.

Rolf: Schlussendlich verliefen die Arbeiten über mehrere Jahre in unterschiedlichen Phasen … Fast ein wenig wie die Sagrada Familia von Luxemburg! (lacht)

Gewähren Sie uns einen Blick hinter die Kulissen. Welchen Plan hatten Sie, um das Projekt zu einem erfolgreichen Ende zu führen?

Lisi: Man muss wissen, dass zu Beginn des Renovierungsvorhaben verschiedene Vorschläge für die Rotondes im Raum standen, wie beispielsweise ein Eisenbahnmuseum oder eine Markthalle. Letztendlich sind die Rotunden zu der kulturellen Institution geworden, die wir heute kennen. Um dann aber dieses Bauprojekt zu verwirklichen, mussten wir zahlreiche Genehmigungen einholen und Verhandlungen mit staatlichen und kommunalen Behörden, der Kommission für kritische Analyse des Ministeriums für öffentliche Arbeiten, dem Umweltministerium und anderen Behörden und Ministerien führen.

Es gibt unzählige Gesetze, die zu beachten sind und die man während der Projektausführung im Auge behalten muss. Zum Beispiel darf bei Konzerten der Lärmpegel nicht über 105 Dezibel liegen. Da die bauliche Grundstruktur der Rotunden in dieser Hinsicht recht »empfindlich« ist, mussten wir eine isolierende Holzkonstruktion im Inneren schaffen. Die nach außen übertragenen Vibrationen oder Bässe bleiben dadurch im gesetzlichen Rahmen.

Rolf: Wir hatten auch viele Besprechungen mit Rettungsdiensten und der ITM bezüglich der Unterteilung der Räumlichkeiten, der Fluchtwege und der Nutzung mehrerer Etagen im Inneren der Rotunde. Außerdem muss man bedenken, dass die Rotondes neben dem CFL-Tunnel liegen, dessen Evakuierung ebenfalls zum Teil über das Gelände erfolgt … Kurz gesagt, es ist ein langer Weg!

Was waren Ihre wichtigsten Inspirationsquellen für dieses Projekt? 

Lisi: Ich habe schon immer Industriegebäude geliebt und beobachte gerne deren Umnutzung. Dabei zeigt sich meistens, dass man das beste Ergebnis erzielt, wenn man den Ort so wenig wie möglich verändert. Alternativ kann man einen echten Kontrast zwischen dem modernen Teil und dem authentischen, industriellen Teil schaffen.

Für die Rotonde 1 war die Idee, sich in die Landschaft dieses industriellen Wunders einzufügen, während bei der Renovierung der Rotonde 2 das Ziel war, dem Publikum zu sagen: »Wir sind zurück, und wir zeigen es euch!« Daher wird der Umbau zwangsläufig unterschiedlich umgesetzt.

Mit unserer langjährigen Erfahrung haben wir uns getraut, mehr zu wagen und ein einzigartiges Projekt vorzuschlagen. Die Erfordernisse der Rotondes und des dort geplanten Programms haben auch unsere Entscheidungen beeinflusst. Das Setting soll ja mit den kulturellen Aktivitäten übereinstimmen.

Historische Standorte wie Schifflange oder das Schluechthaus in Hollerich zeigen, dass viele Industriegebäude umgewandelt werden können und es möglich ist, dieses industrielle Kulturerbe zu erhalten und zu nutzen.

Die Orte, die uns für die Rotonde 2 sehr inspiriert haben, sind zum Beispiel das Abattoir Matadero in Madrid und das Roundhouse in London. Wir wollten das Gleichgewicht wie bei diesen Orten zwischen dem zeitgenössischen – mit der Technik, Heizung und Elektrizität, die die Rotondes benötigen – und dem historischen Aspekt finden. In Paris ist auch der Palais de Tokyo interessant, weil er eine schöne Lesart von Neuem und Altem bietet.

Welchen Einfluss wird Ihrer Meinung nach die Sanierung der Rotondes auf das Gesamterlebnis der Besucher:innen haben?

Lisi: Der erste positive Effekt ist, dass der Ort für alle zugänglich sein wird. Wir haben Aufzüge in der Rotonde 2 und im zentralen Pavillon vorgesehen, sodass jeder Raum auf den verschiedenen Ebenen barrierefrei erreichbar sein wird. Ansonsten wird vor allem der neue Pavillon auf dem Vorplatz einen wichtigen Einfluss auf das Erlebnis der Besucher haben. Er ist ein zentrales und sichtbares Element, das sich mit der bereits gebauten Black Box verbinden wird. Beide werden wiederum ergänzt durch einen Empfangs- und Informationsbereich sowie eine neue Buvette, die im Sommer vollständig zum Vorplatz hin geöffnet werden kann.

Es wird auch eine große Außenterrasse auf zwei Ebenen geben: Der Pavillon wird also zu einem echten Zentrum werden, das die beiden Gebäude mit ihrer Umgebung verbindet. Ich glaube, dass die neue Buvette dazu beitragen wird, die Programme und die verschiedenen Funktionen der Rotondes voneinander zu trennen. Der Kubus wird ausschließlich den Konzerten gewidmet sein, und die neue Buvette wird Besucher:innen empfangen, die einen Kaffee trinken oder etwas essen möchten. Dieser Ort wurde wirklich als Treffpunkt für das Viertel konzipiert.

Rolf: Die Terrasse wird auch sehr zur Sichtbarkeit der Rotondes beitragen. Wir wollten den Ort von außen erkennbar machen, sodass ein schöner Treffpunkt entsteht, der Neugier weckt. Bevor sie ins Konzert gehen oder sich eine neue Ausstellung anschauen, können sich die Besucher gemütlich hinsetzen, einen Kaffee trinken, sich in Ruhe das Programm anschauen und entscheiden, was sie als nächstes tun möchten.

Und nach all dem ist es geschafft! Wir werden bald die letzte Sanierungsphase abschließen … Wenn Sie sich etwas wünschen könnten – was sollen die Menschen von Ihrem Projekt in Erinnerung behalten?

Lisi: Vor allem, dass die Öffentlichkeit sich daran erinnert, dass es möglich ist, das industrielle Erbe zu erhalten, zu modernisieren, reversible und nachhaltige Elemente zu schaffen und es letztendlich weiter zu nutzen. Oft denken die Menschen, dass dies unmöglich ist und dass wir es nicht schaffen werden. Aber doch, wir werden es schaffen, und die Rotondes sind der Beweis dafür!

Rolf: Dies ist wirklich ein einzigartiger Ort, mitten im Zentrum der Stadt, den die Öffentlichkeit täglich und ganz unkompliziert nutzen kann. Das ist wirklich großartig!